Tian Tian Wang
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Ist es eine Wolke - diese weißen, grauen und blauen Farbflächen, die auf der Leinwand ein visuelles Volumen ergeben und sich aufzuwölben scheinen - und ist die Ausformung aus verschiedenen Rundungen, Farbnuancen und Schattierungen ein Bild von Rauch? Mit diesen Fragen dringt man hinter die scheinbar schwerelos wirkende Oberfläche Tian Tian Wangs minimalistisch-figurativen Malerei. Einfache Fragen zu stellen bedeutet nicht, dass man einfache Antworten erhält. Manchmal leitet die schlichte Frage "Was sind die Dinge?" in eine Offenheit, die keine Antwort mehr benötigt. So lässt sich die Frage, ob es sich in Tian Tian Wangs Bildern um Wasserdampfwolken oder um bewegliche Formen handelt, nicht mit einem Gedanken beantworten. Die Frage, was auf Tian Tian Wangs Bildern vorhanden ist oder vorhanden sein könnte führt unmittelbar in jene geistige Offenheit, auf die keine Antwort folgen muss.

Eine Wolke wird zu dem Bild einer Wolke, wenn das eigene Vorstellungsbild der gemalten Form auf der Leinwand gleicht. Wenn man das Wort Wolke aber für einen Moment vergisst, es in den Hintergrund fallen lässt, sieht man eine amorphe, bewegte Form. Diese Form ähnelt den Eigenschaften einer Wolke, sie erscheint vielleicht leicht und luftig, aufwirbelnd und geschlossen oder aufquellend. Durch das Nachdenken über Wolken oder Rauch und ihren charakteristischen Eigenschaften einer permanenten Beweglichkeit und Ausformbarkeit erhält die Form auf der Leinwand eine Deutung. Die Deutung ist das Zeichen oder die Zeichenhaftigkeit der Dinge: die Wolke oder der Rauch ist ein malerisches Zeichen, ein poetisches Zeichen für Beweglichkeit und Veränderbarkeit, ein Zeichen für Schlichtheit in einer figurativen, meditativ anmutenden Malerei, ein Zeichen für die Bildhaftigkeit einer Wolke oder des Rauches im Bezug zum Raum oder Himmel. Je nachdem, mit welchen Vorstellungen und Wörtern der Betrachter das Bild wahrnimmt, wird die Form zu einem Bild einer Wolke oder sie ist die Möglichkeit all ihrer Zeichenhaftigkeit.

Tian Tian Wang malt Dinge in ihrer Zeichenhaftigkeit - ob so genannte Wolken, Rauchschwaden, Häuser, Feuerzungen oder Berge - ihre Bilder liegen an der schmalen Grenze zwischen Bildhaftigkeit und Bildloslösung. Beim längeren Hinsehen, wenn die Worte oder die Bilder fast bedeutungslos werden, wenn das brennende Haus nicht mehr und nicht weniger ist als Form und Material, das sich auflöst, sich transformiert und damit einen Prozess des Wandels ankündigt - dann wird der Bildhaftigkeit des Denkens das Bild entzogen. Die gedachten Bilder und Worte werden durch ihre Zeichenhaftigkeit in andere Bereiche geführt - in die weiterer Zustandsweisen. In Felder wie die einer Ernsthaftigkeit und Ironie, Absurdität oder Merkwürdigkeit, Poesie und Melancholie und vor allem in eine geistige Weite. Die Verschiebung, die geschieht, wenn eine Wolke keine Wolke ist und Wolke ist, formuliert sich in Tian Tian Wangs Bildern in einer malerischen Tautologie. Durch die reduzierte, naiv wirkende Bildhaftigkeit und der daraus folgenden Bild- und Wortlösung werden Denkmuster in Bewegung gesetzt, individuelle Assoziationen oder poetische Bilder ermöglicht und auf diese Weise jeweils andere, weitere Räume geöffnet. Diese Freiräume legt Tian Tian Wang im Rahmen ihrer Malerei an, die immer ihre Möglichkeit bewahrt eine schlichte und spannungsreiche Malerei zu sein.

Ein brennendes Haus signalisiert zuallererst Gefahr, den Verlust einer beheimateten Individualität. Doch bei Tian Tian Wang sind die brennenden Häuser (2008) - durch zwei schmale, zwei hohe Wandseiten und einem schrägen Dach als Haus in der einfachsten Weise bezeichnet - eine Art Stofflichkeit, aus der ein anderer Zustand wie Qualm, Feuerzungen oder Rauch hinausquellen, hervorkommen oder entweichen kann und sich damit oder darin transformiert. Dem Bild des brennenden Hauses wird das Bild der Gefahr langsam entlockt und durch die spielerische, lustvolle Darstellung der Elemente Rauch und Qualm gleitet das Bild des brennenden Hauses in das Feld einer Absurdität. Die Ambivalenz zwischen dem dargestellten brennenden Haus, das sichtbare Vergnügen an der malerischen Umsetzung der Feuerzungen entfaltet eine sonderbare Stimmung, die zum Nachdenken und längerem Hinsehen auffordert. Die malerische Umsetzung, die skizzenhaft angedeuteten farbigen Gründe, Böden, Flächen, ausfransenden Wolken oder Rauchschwaden lösen sich im gemalten Bild aus ihrer Umrandung und scheinen damit gleichsam aus ihren Worthülsen zu entschwinden, je länger man versucht sie im Bild und mit Worten einzugrenzen. Was bleibt, ist die Spannung zwischen Schwerelosigkeit und Merkwürdigkeit.

In diesen Zwischenbereichen von Bildhaftigkeit und malerischer Geste entfalten Tian Tian Wangs Bilder, wie beispielsweise die Bilder mit Schornsteinen und Rauch (2006), eine fast sachlich, nüchterne Poesie. Der grauweiße Rauch läuft in das Weiß der Leinwand, die zwei Schornsteine ergeben durch ihren Größenunterschied eine leichte Perspektive im Bildraum und die dunkelbraune Ebene, auf der sie zu stehen scheinen, bleibt angedeutet und ist eine auslaufende Fläche. Die Formen, Bilder, Worte werden in der längeren Betrachtung zunehmend transparenter und leerer. Die Malerei, die Dynamik im Bild zwischen Form, Farbe und Ding wird umso deutlicher. Je öfter man hinsieht, umso weniger sieht man einen Schornstein, denn dieser scheint so sehr ein Schornstein zu sein, dass man an seiner Eindeutigkeit gedanklich abschweift und dann die malerische Resonanzen zwischen dem Erdbraun und dem Rauchweiß, zwischen den ausgemalten Stellen und den Ausfransungen, das Weiß der Leinwand wahrnimmt. All dies ist zur gleichen Zeit in gleichberechtigter Anwesenheit vorhanden und im Bild präsent. Hinter all den Blicken auf das Bild, im Wechsel der Möglichkeiten, der Leere und der vermeintlich eindeutigen Bildhaftigkeit schimmert eine poetische Transparenz hervor.

Die Bilder mit Bergen (2003 und 2005), in denen die Silhouetten kaum massiv, sondern abgerundet und auf diese Weise lebendig wirken, sind geografisch nicht zu benennende Berge, sie tragen eher individuelle Züge. Die Berge in Tian Tian Wangs Bildern sind ein Gegenüber einer natürlichen Welt, in der sich vielfältige Stimmungen wie auch Sehnsüchte des Betrachters wiederfinden können. Durch die gemalten Berge mit blauen und grünen Farbtönen, mit violetten schattenartigen Spuren, grasähnlichen Tälern, Ausschnitten von Bergketten und einer Bergkuppe gibt Tian Tian Wang einen persönlichen Blick auf das Phänomen Berg wieder. Ist der Blick auf einen Berg nah, sehr dicht oder läuft er durch eine Weite, um in der Ferne auf eine Landschaft mit Bergen zu treffen? - diese vielfachen Blicke auf Berge sind mit unterschiedlichen Stimmungen verbunden. Tian Tian Wangs Bilder mit Bergen spiegeln und variieren diese Blicke und gleichermaßen die inneren und äußeren Vorstellungsbilder, die Zeichenhaftigkeit des Phänomens Berg. Gleichzeitig wirken hier die malerische Komposition und die Farbintensität besonders lebendig und intensiv.

Ob Berge, Wolken, Feuer, Häuser, Ebenen, Flächen, Volumen - es sind malerische Materialien, Formen und Farben, die für Tian Tian Wang jeweils unterschiedlich dynamische Wertigkeiten in sich tragen. Die entstehenden Kontraste, die verschiedenen Bewegungsstrukturen, die sich aus der abgebildeten Materialität und den Bildvorstellungen ergeben, lassen neue Bild-Verhältnisse entstehen. In Tian Tian Wangs Bildern scheinen diese von ihr neu formulierten Bild- und Dingverhältnisse in einem ständigen Bewegungsfluss zu sein, der die Blicke auf die Malerei in vielfacher Weise in einer Schwebe und Bewegung hält. Zwischen gemalter Fülle und Leere der Leinwand, zwischen den bildlichen Dingen und den zeichenhaften Bedeutungsmöglichkeiten verbirgt sich in Tian Tian Wangs Malerei immer ein wertungsfreier Deutungsraum. Diese Offenheit benötigt keine Bezeichnung, weil sie dadurch entsteht, dass Bedeutungen entschwinden - sie scheint in Tian Tian Wangs Bildern hervor durch die Gleichzeitigkeit einer An- und Abwesenheit der Dinge, inmitten ihrer dichten unprätentiösen Malerei.

Text von Birgit Szepanski (original auf Deutsch)